In die neue Welt..........

Die Mehrener Auswanderung 1842 - 1890

Roland Thelen, Mehren

Die Diskussionen um die Flüchtlingsproblematik fällt häufig der abwertende Begriff „Wirtschaftsflüchtling". Eben solche „Wirtschaftsflüchtlinge" waren auch die Leute, die zwischen 1842 und 1890 ihrer Heimat, dem Dorf Mehren in der Eifel, in großer Zahl den Rücken kehrten, um auf dem amerikanischen Kontinent ein besseres und menschenwürdigeres Auskommen zu suchen. Während eine Auswanderungswelle in den 1820er Jahren von der Mosel, dem Hunsrück und der Südeifel vorrangig nach Brasilien führte, erfasste eine weitere „Welle" ab dem Jahr 1842 die zentrale Eifel, so auch das Dorf Mehren, mit dem vorrangigen Ziel Nordamerika.

Mehren tritt dabei in der Auswanderungsstatistik für den damaligen Landkreis Daun besonders hervor, denn von 331 Personen, die im Jahr 1842 auswanderten, kamen alleine 54 aus dieser Gemeinde. Trotz ständiger Warnungen von staatlicher und auch kirchlicher Seite verfielen viele Eifeler der „Auswanderungssucht" (Pastor Schmitz/Gillenfeld 1843) und stellten bei der Behörde das erforderliche Auswanderungsgesuch - oder sie machten sich illegal auf den Weg.

Die Auswanderungswilligen selbst waren nicht in der Lage ihre Reise vollständig zu planen. Hierzu bediente man sich der Agenten, die werbend durchs Land zogen und letztlich die Reise aus der Eifel zu den Seehäfen und die Passage über den Atlantik vorbereiteten und organisierten. Nicht selten saßen die Auswanderer dabei dreisten Betrügern auf und die Reise endete bereits im Seehafen, weil die finanziellen Mittel schon aufgebraucht waren oder nicht mehr für die Passage über den Atlantik reichten. Konkrete Belege dafür, dass dieses Schicksal auch Mehrener traf, gibt es nicht, können aber auch nicht ausgeschlossen werden. Der weitaus größte Anteil der Mehrener

Auswanderer verließ das Heimatland legal, also mit „Pass" - was allerdings mit dem Verlust der Staatsbürgerschaft verbunden war! Doch auch etliche Mehrener wanderten illegal, also „ohne Consens" aus. Gründe hierfür waren meist der noch nicht abgeleistete Militärdienst, z.T. bis hin zur Fahnenflucht und in einigen wenigen Fällen andere Strafdelikte oder Schulden.

Die Reise zu den Seehäfen

Die Eifeler Straßen- und Wegeverbindungen waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts unzureichend. Die Eisenbahn und einen öffentlichen Nahverkehr im heutigen Sinne gab es nicht. Dennoch versuchten die Auswanderer mit ihrer geringen Habe den weiten Weg zu den Seehäfen möglichst schnell zu überwinden. Man versuchte zu Fuß oder mit Fuhrwerken zum nächsten schiffbaren Fluss (Mosel oder Rhein) zu kommen, um von dort aus auf Flussschiffen, später auch mit der Eisenbahn, zu den Seehäfen - meist Antwerpen oder Rotterdam - und später auch Bremen zu gelangen.

Die Passage

Vom Seehafen aus nahm das gewählte Schiff eher selten die direkte Passage nach Amerika. Vielmehr wurden zunächst noch Häfen in England oder an der französischen Ärmelkanalküste angesteuert. Konkrete Angaben über die Dauer der Passage machten die Auswanderer nur gelegentlich. Soweit vermerkt, ist der Zielhafen in Nordamerika immer New York, ausgenommen im Jahr 1843 - da landeten die Mehrener in New Orleans, um von dort aus auf dem Mississippi in die ca. 1.000 km nördlich gelegene Stadt St. Louis zu gelangen. Die Reisedauer von Mehren über Antwerpen nach New Orleans betrug 130 Tage, davon 57 Tage auf See. Ist die lange Dauer der Überseepassage in der Mitte des 19. Jahrhunderts noch der

überwiegenden Verwendung von Segelschiffen geschuldet, so bringt die Entwicklung im Schiffsbau mit dem zunehmenden Einsatz von Dampfschiffen eine deutliche Verkürzung der Reisezeiten mit sich. Im Zeitraum 1857 - 1868 haben sich die Gesamtreisezeiten bereits auf 45 - 58 Tage verkürzt. Für das Jahr 1886 ist die Überfahrt in 15 Tagen von Bremen nach New York vermerkt.

In der neuen Welt

Was auf die Auswanderer in der „Neuen Welt" im Positiven wie im Negativen zukam, dürften diese in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet haben. Die meisten Eifler landeten zunächst in New York, um von dort aus auf die Reise in das Landesinnere aufzubrechen. In den knapp fünf Jahrzehnten zwischen 1842 und 1890 wanderten insgesamt 433 Mehrener nach Amerika aus. Diese setzten sich aus 157 verheirateten oder verwitweten Erwachsenen mit insgesamt 207 Kindern, sowie 74 ledigen Erwachsenen zusammen. Um diese Zahlen richtig einordnen zu können, sei darauf verwiesen, dass im Jahr 1847 Mehren 763 Einwohner zählte.

Betrachtet man die Zeitspanne 1842 - 1890 im Detail, wird erkennbar, dass die Auswanderung in vier deutlich abgegrenzten „Wellen" erfolgte:

1. Welle 1842 - 1847

Alleine in dieser 1. Welle von 1842 bis 1847 wanderten insgesamt 197 Personen aus Mehren aus. Das sind 45% aller Mehrener Auswanderer im gesamten Betrachtungszeitraum bis 1890. Auf den ersten Blick scheint es naheliegend, in dem Großbrand, der das Dorf am

2. Juni 1847 weitgehend zerstörte und rund 600 der 763 Einwohner obdachlos machte, die Ursache für das abrupte Ende der ersten Auswanderungswelle zu sehen.

Bei Betrachtung der regionalen Auswanderungssituation der Jahre 1847 - 1850 wird jedoch deutlich, dass der Großbrand auf die Entscheidungen der Mehrener Auswanderer allenfalls sekundären Einfluss hatte. Ab 1847 stagnierte nämlich die Auswanderung im gesamten Landkreis Daun wegen der innenpolitischen Wirren und den damit

einhergehenden Unsicherheiten, die letztlich in die Revolution 1848/49 mündeten. So wanderten im Zeitraum 1847-1850 nur noch insgesamt 14 Bürger aus dem Landkreis Daun aus - davon 7 Mehrener, und diese bereits vor der Brandkatastrophe von 1847.

II. Welle 1852 - 1861

Der Anteil derer, die aus „Abenteuerlust" auswanderten, dürfte sehr gering gewesen sein, denn die meisten verließen aus purer Not ihre Heimat. Man hatte die unsicheren Zeiten der Revolutionsjahre abgewartet, nicht zuletzt in der Hoffnung auf eine deutliche Besserung der Lebensumstände, um doch noch in der Heimat ein Auskommen zu finden. Diese Hoffnung erfüllte sich jedoch nicht und so setzte im Jahr 1852 eine 2.Welle ein, mit der bis zum Jahr 1861 nochmals insgesamt 132 Mehrener auswanderten. Diese 2. Auswanderungswelle fand durch die im Jahr 1860 in den USA beginnenden Sezessionskriege ein Ende. Der amerikanische Bürgerkrieg dauerte bis zum

Jahr 1865.

III. Welle 1868 - 1873

3 Jahre nach Ende des amerikanischen Bürgerkrieges wanderten im Jahr 1868 abermals 18 Mehrener in die USA aus. Diese wurden dort allerdings von der im Jahr 1869 einsetzenden tiefgreifenden Wirtschaftskrise überrascht, die bis zum Jahr 1875 andauern sollte. Nur noch 3 Mehrener folgten in den Jahren 1871 und

1873.

IV. Welle 1880 - 1890

Der gewonnene Krieg gegen Frankreich 1870/71 und die Gründung des Deutschen Reiches führten offensichtlich zu einer gesellschaftlichen Konsolidierung und bewirkten so den Rückgang der Auswanderungen. Hinzu kam, dass sich durch den immensen wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland („Gründerzeit") die Auswanderung in eine Abwanderung wandelte. Nun fand man ein Auskommen in den zunehmend prosperierenden deutschen Ballungsräumen, die sich zu bedeutenden Wirtschaftszentren entwickelten. Aus dem anfänglichen „Pendeln" von der entlegenen Eifel zur doch weit entfernten Arbeitsstelle wurde

bald ein Fortzug, eben eine Abwanderung -man blieb in Deutschland, im Notfall die alte Heimat in noch „greifbarer" Nähe. Im vorletzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wanderten zwar noch 88 Mehrener aus -doch mit den Brüdern Ernst und der Familie

Heinrich Schlubeck verließen im Jahr 1890 die letzten Mehrener das Dorf in Richtung Nordamerika. So endete die knapp 50 Jahre andauernde Auswanderung aus Mehren im Jahr 1890 ebenso abrupt wie sie im Jahr 1842 begonnen hatte.

„Welle"

Jahre

Auswanderer

Alter

Kinder

Alter

Auswanderer

Alter

Auswanderer

   

verheir./ Wwe.

Anzahl

Jahre i.M.

Anz.

Jahre i.M.

Erwachs. solo Anz.

Jahre i.M.

Anzahl Gesamt

I.

1842-1847

74

40

110

9

13

31

197

IL

1852-1861

46

43

54

11

32

31

132

III.

1868-1873

5

41

5

9

11

31

21

IV.

1880-1890

27

43

38

6

18

38

83

Summen

 

152

41

207

9

74

33

433