Allscheid - das tote Dorf

Im Frühjahr 1853 wurden die Häuser Allscheids abgerissen

Werner Schönhofen, Leutesdorf

Zwischen den Orten Steinigen bzw. der Autobahn und Darscheid im Kreis Daun steht an der Straße ein kleines Kapellchen, das dem Heiligen Erasmus geweiht ist.1 Es ist der letzte Zeuge des Dorfes Allscheid, dessen Bewohner - mit wenigen Ausnahmen - 1852 nach den USA auswanderten. Es war nicht Abenteuerlust sondern Not, die sie zu diesem Schritt bewog, das geht aus dem „Register der Beschlüsse des Gemeinderats der Gemeinde Steiningen-Allscheid" hervor, das ich hier als Quelle benutze. Das im Jahre 1846 begonnene Register lag bis zur Verwaltungsreform der 1970er Jahre bei der damaligen Amtsverwaltung Gillenfeld. Es bringt bei allen Gelegenheiten zum Ausdruck, dass die „Einsassen von Allscheid" arm waren. Sie hatten wohl unter den Folgen mehrjähriger Missernten in witterungsschlechten Jahren zu leiden. 1847 wurde das „den Einsassen von Allscheid zufallende Brandholz zugunsten der Gemeindekasse versteigert, weil der Kaufpreis nicht zu erschwingen war". Ferner wurde die jährliche Brandholz- und Viehtaxe (auf Rindvieh und Ziegen) erlassen. Der Gemeinderat beschloss auch 100 Scheffel Roggen an die Bürger von Allscheid zu verteilen. Es ist die Zeit, in der sich auch Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der Amtsbürgermeister und spätere Genossenschaftsgründer, im Westerwald um die Versorgung seiner hungernden Bevölkerung kümmert. - 1848 werden die „Eingesessenen von Allscheid (als) ganz verschuldet und durchweg bettelarm[...]" bezeichnet, als es um die Zahlung von Geldern für die Pfarrkirche in Darscheid geht. Viele Allscheider waren tatsächlich berufsmäßige Bettler. In der Gemeinderatssitzung vom 22.5.1852 beschloss man schließlich, die Siedlung aufzugeben. Die Bewohner von Allscheid verkauften

ihre Liegenschaften an die von Steiningen. Für den Wald erhielten sie 3000 Taler, die zur Bestreitung der Überfahrtkosten und für die Übersiedlung der drei nicht auswandernden Familien nach Steiningen vorgesehen waren. Die 19 Verkäuferpartien des Privatlandes erhielten dafür 2200 Taler.2 Der Gemeinderat beschloss, die Gebäude in Allscheid sofort nach dem Abzug der Bewohner niederzureißen, um ein neues Bewohnen unmöglich zu machen; bei einer „wilden" Ansiedlung hätte man sehr bald ja wieder verarmte Einsassen gehabt und damit die gleichen Probleme. Die ganze Aussiedlung kostete die Gemeinde Steiningen 5550 Taler, die der Gutsbesitzer Nikolaus Hölzer aus Daun vorlegte. Er erhielt dafür fünfeinhalb Prozent Zinsen. Die Rückzahlung war teilweise durch den Einschlag von Holz im angekauften Wald vorgesehen. Hölzer brachte die Auswanderer auf Leiterwagen nach Rotterdam, wo sie sich nach Nordamerika einschifften. Im Frühjahr 1853 wurden die Häuser Allscheids niedergerissen, ausgenommen das Kirchlein. 1867 war es baufällig und seine Renovierung ein Streitobjekt zwischen der Pfarrgemeinde Darscheid und der Zivilgemeinde Steiningen. Ein Steininger Bürger erklärte sich schließlich bereit, es zu renovieren. Dabei kann es sich wohl kaum um das jetzige Heiligenhäuschen handeln.

Die Geschichte des Dorfes hat auch ihren Niederschlag gefunden in dem Heimatspiel „Das tote Dorf" des Heimatdichters Klaus Mark aus Brockscheid und in einer Südwestfunkreportage im Jahre 1952. Auch der damalige Amtsbürgermeister Nohn in Gillenfeld hatte die Geschichte Allscheids festgehalten. Sicher gibt es nur mehr wenige Menschen, denen die Geschichte des blinden Spielmannes von Allscheid, einem Nachfahren der letzten nach

Steiningen gezogenen Allscheider, bekannt ist. Schließlich erinnert in Mehren eine Straße an das tote Dorf. Immer wieder nahmen Nachkommen der Auswanderer mit der alten Heimat Kontakt auf. So ist Allscheid doch nicht ganz aus dem Blickwinkel der späteren Generationen verschwunden.

1 Bischof Erasmus wurde angerufen bei Leibschmerzen bei Mensch und Vieh und als Helfer in den Geburtsnöten. Hier im Kapellchen wurde er wohl auch um Hilfe gegen den Milch-
schorf der Kinder, Freeßem genannt, gebeten. Es heißt, dass die Mütter einige Pfund Getreide als Opfer mitbrachten. Sein Namenstag ist der 2. Juni. Er war Bischof von Antiochien und kam als Missionar nach Sirmium in Illyrien. Er geriet unter Diokletian in die Christenverfolgung. Die fromme Legende berichtet, dass ein Engel ihn aus dem Kerker befreit habe. So kam er nach Formio in Kampanien, wo er im Jahre 303 hochgeachtet starb.
2 In diesen Zeiten wurden viele Dorfarme nach Amerika abgeschoben. Das tat z.B. auch die Gemeinde Büchel im Kreis Cochem. - Ein weiteres Dorf, das geschlossen nach Amerika auswanderte, war z.B. Sespenroth im Gelbachtal bei Montabaur im Westerwald.