Von Rommelsbach über Allscheid nach Amerika

- Die Auswandererfamilie Jakob Reiser, Allscheid -

Friedbert Wißkirchen, Daun

Die Auswanderung der Menschen des Dorfes Allscheid ist in der Heimatliteratur ausführlich beschrieben worden, u.a. in „Eine Gemeinde löst sich auf" von Alois Mayer, Daun - Pützborn in: HJB Vulkaneifel 2003. Dort werden 1852 bei der Aufgabe des Dörfchens u. a. als Auswanderer Jakob Reiser mit seiner Frau Maria Schäfer und der Tochter Anna Katharina Schäfer aufgeführt. Auch Josef Mergen hat in seinem Buch: „Die Amerikaauswanderung aus dem Landkreise Daun" als Auswanderungsjahr von Reiser 1852 angegeben. In der offiziellen Auswanderungsliste der Bürgermeisterei Gillenfeld vom 24.5.1852 und in der Passagierliste des Schiffes „Atlantic", das den Hafen New York mit den Allscheidern und weiteren Familien aus Darscheid, Mehren, Rengen am 3.9.1852 erreichte, ist Jakob Reiser nicht verzeichnet. Ist Jakob Reiser mit seiner Familie doch nicht nach Amerika ausgewandert?

Von Rommelsbach nach Allscheid

Jakob Reiser erblickte am 10. Juli 1800, nachmittags um 5 Uhr in Rommelsbach das Licht der Welt. Der protestantische Pfarrer trug ins Kirchenbuch ein: „pater incertus, mater (Anna Barbara Reiser) ist zu Bernhausen, da sie gedient hat, geschwängert worden". Später wurde der Eintrag ergänzt: „verschollen, als tot angenommen". Die Formulierung: „pater incertus" bedeutet: „Vater ungewiss, unbekannt". Dennoch hatte die Mutter von Jakob Reiser auf Nachfrage der Synodalen einen „kayserlichen Reu(i)ter mit Na(h)men Jacob Weber, aus Böhmen gebürtig"4 als Vater genannt. Der Nachtrag „verschollen, als tot angenommen" bezieht sich wohl auf den Vater Jakob Weber. Jakob erhielt bei der Taufe den Vornamen seines leiblichen Vaters, aber

auch seines Paten und Onkels Jakob Reiser, fürstlicher Wagenknecht aus Bernhausen, der Bruder der Mutter. Seine Mutter, Anna Barbara Reiser, heiratete am 10.5.1803 den Witwer Johann Michael Brodbeck, Schuhmacher, aus Bernhausen. Auch Jakob Reiser lebte in der neuen Familie in Bernhausen, zusammen mit den später geborenen Stiefgeschwistern Jakob Friedrich und Anna Barbara. 1814 wurde Jakob konfirmiert und hat danach eine Lehre begonnen. Die Mutter von Jakob Reiser starb am 5. Februar 1837.

Wie Reiser aus dem „Württembergischen" in die Eifel kam, bleibt im Dunkel der Geschichte. Der Beruf von Jakob Reiser wird in Urkunden mit Nagelschmied oder Pflasterer angegeben. Wie damals üblich, gingen die Gesellen nach ihrer Lehrzeit auf Wanderschaft und arbeiteten bei unterschiedlichen Meistern, oft nur ein paar Wochen am gleichen Ort. Führte ihn seine Wanderschaft als Geselle in die Eifel? Am 20.10.1827 heiratet Jakob Reiser die damals 40 Jahre alte Anna Maria Radermacher und hatte mit ihr 3 Kinder. Im Heiratseintrag des Kirchenbuches Darscheid wird „Jacobus Reihser, als illegit. Acatholisch, aus Bernhausen, Regis Würrtembergen bezeichnet. Seine Frau Anna Maria starb 1833, 6 Jahre nach der Eheschließung, die Kinder Luzia (* 1821 + 1838), Maria Eva (* 1828 + 1842) und Johann Adam (* 1831 + 1836) folgten der Mutter im Kindes- und Jugendalter. Als die fast erwachsene Tochter Luzia, die nach dem Tod der Mutter den Haushalt führte, schwer erkrankte, brauchte Jakob eine Magd, die Haus und Kinder versorgte. Die Magd, Anna Maria Schäfer aus Ulmen, brachte am 4.3.1838 die Tochter Anna Katharina zur Welt. Jakob, der die zweite Ehe mit Anna Maria Schäfer am 2.3.1840

einging, erkannte die 2jährige Anna Katharina als seine leibliche Tochter an. Die Familie lebte im Radermacher-Haus in Allscheid, das er von seiner verstorbenen Frau Anna Maria geb. Radermacher geerbt hatte. Dazu gehörten auch Gärten, Wiesen, Acker und vor allem Wildland in beträchtlicher Größe. Das Radermacher-Haus stand fast in der Dorfmitte, in einem Lageplan von 1845 mit Nr. 10 bezeichnet. Im Jahre 1837 wurden die Ländereien auf seinen Namen im Grundbuch eingetragen, aber bereits 1843 verkaufte er einen Acker oder Garten von etwa 126 Ruten und 1844 ein weiteres kleines Grundstück von 29 Ruten. 1847 fanden die letzten Grundstücksverkäufe statt, nicht nur die Ländereien, sondern auch das Grundstück mit Wohnhaus und Einrichtung.

Ausschnitt aus dem Dorfplan von Allscheid: im Haus Nr. 10 lebte die Familie Reiser

Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden immer größer; darauf deuten die Landverkäufe hin. Reiser betrieb scheinbar keine Landwirtschaft, sondern hielt sich als Tagelöhner „über Wasser". Der Tod seiner 3 Kinder hatte ihn sehr getroffen; sie waren wohl, wie viele Kinder, an Unterernährung und Schwindsucht gestorben. Diesem Schicksal wollte er mit

seiner neuen Familie entgehen. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft bestärkte ihn auszuwandern und sein Glück in Nordamerika zu suchen. Mit etwa 500 Talern aus dem Verkauf von Haus, Ländereien und Hausrat ging es mit dem Segelschiff „Duc de Brabant" von Antwerpen aus über den Atlantik. Am 19. Juli 1847 kamen laut Passagierliste: Jakob Reiser (46), Anna Reiser (40), Anna (14) und Cathari-na (7) in New York an.

Die Familie Reiser siedelte sich in Wisconsin, nahe der Stadt Saukville an. Bereits am 17. Dezember 1847 wurde „Jacob Reiser, born in Preizen", amerikanischer Staatsbürger, in dem er die Erklärung vor dem Distrikt-Gericht unterzeichnete, auch wenn die Urkunde mit dem „geboren in Preußen" nicht den Tatsachen entsprach. Am 1. 8. 1849 kaufte er beim „Land Office" in Milwaukee 40 acres, mehr als 16 ha Rodungsland. Jakob Reiser und seine 2. Ehefrau Anna Maria geb. Schäfer lebten nicht allzu lange den Traum von Wohlstand und Glück. Beide starben um das Jahr 1850/51 in Saukville, Ozaukee County, Wisconsin; das genaue Todesdatum ist nicht bekannt. Maria Anna Schäfer, die 1832 geborene und nachträglich legitimierte Tochter Reisers, heiratete am 6. April 1850 Eustachius Schuh in der Kirche St. Francis Xavier in Grafton. Bei der Geburt des Sohnes Johann Baptist am 23.5.1851 starben Mutter und Kind. Die zweite Tochter, Anna Katharina Reiser, 1838 in Allscheid geboren, heiratete Peter Mertes.

Peter Mertes - ein Junge aus Steiningen

Am 29.4.1846, ein Jahr früher als die Reisers, verließen Johann Bernhard Mertes (44 Jahre),

seine Frau Gertrud geb. Conrady und die Kinder Gertrud (*5.4.1832) und Peter (*29.4.1934) aus Steiningen das Alfbachtal, wanderten nach Amerika aus und siedelten sich nahe Saukeville/Wisconsin an und betrieben eine Farm. Anna Katharina Reiser war froh, dass sie nach dem Tod der Eltern und der Schwester Hilfe und Zuflucht bei den Mertes fand. Ihren späteren Mann, Peter Mertes, 4 Jahre älter als sie, kannte sie aus Kirchgängen und dem Schulbesuch in Steiningen. Am 5. 11. 1859 gaben sie sich in der St. Francis Xavier Kirche in Grafton das Ja-Wort. Aus der Ehe gingen die Kinder Gertrude (1860), Nicholas (1864), Bernhard (1866), John (1869) Theodore (1871), Joseph (1874), Mary C. (1881) und Susanna Barbara (1885) hervor.

Goldene Hochzeit von Peter Mertes (Steiningen) und Anna Katharina Reiser (Allscheid) mit ihren Kindern

1871 kaufte Peter Mertes eine Farm und siedelte nach Auborn, nahe Sand Lake, um. Ab 1882 verlebten Peter und Anna Katharina nach einem arbeitsreichen Leben ihren Ruhestand in Kewaskum und konnten am 10. 11. 1919 das Fest der Goldenen Hochzeit in der Trinity Kirche Kewaskum begehen.

7 Kinder, 26 Enkel und 2 Urenkel sowie nahe Verwandte nahmen großen Anteil an dem damals seltenen Fest. Am 12. März 1913 starb

Grabstein Peter und Katherine Mertes geb. Reiser

Anna Catharina nach zweiwöchiger Krankheit im Alter von 75 Jahren. Sie wird als gläubige Christin und liebevolle Mutter und Großmutter beschrieben. Peter Mertes überlebte seine Frau nur wenige Monate; er verstarb mit 79 Jahren am 13. Juli 1913 in Milwaukee.

Die Reisers - eine auswanderungsfreudige Familie

Jakob Reiser wanderte tatsächlich aus, aber 5 Jahre früher als die übrigen Allscheider Bewohner. War seine Auswanderung 1847 und spätere Kontakte nach Allscheid mit ein Beweggrund für die Aufgabe und Auswanderung eines ganzen Dorfes? Für eine Reihe von Personen aus der Reiser-Familie aus Reutlingen-Bernhausen und Umgebung hatte die Entscheidung zur Auswanderung einen Nachahmungseffekt: 10 Personen aus der Reiser (Raiser) Familie verließen zwischen 1853 -1879 ihre Heimat Württemberg um sich in den USA nieder zu lassen. Die Familienkartei der Evangelischen Kirchengemeinde Bernhausen wurde sehr exakt geführt. Bei Jakob Reiser ist vermerkt: „...ausgewandert 1847 aus Allscheid in Rh.(ein) Preussen".

Die Witwe von Matthias Schmitt kann sich die Auswanderung nicht leisten

Im Auswanderungsverzeichnis Allscheid 2 vom 24. Mai 1847 wird unter der Ziff. 15. aufgeführt „ Schmitt Matth. Wtb. " - in der Spalte „Bemerkungen" ist eingetragen: „Pützborn". Josef Mergen 1 führt unter der Nr. 725 als

Auswanderin „Maria Anna Schreffer" (Anm. d. Verf.: Witwe des Matthias Schmitt) und ihre Tochter „Eva", unter der Nr. 726 den Sohn „Johann Schmitt" auf. Maria Anna Schreffer, verwitwete Schmitt und ihre am 18.8.1848 geborene Tochter Margaretha (nicht Eva) wanderten nicht aus, sondern zogen, wie unter den „Bemerkungen" angegeben, nach Pützborn zu einem Sohn/Bruder. Sie waren, wie eine weitere Notiz am Rande der Auswanderungsliste vermerkt, „bettelarm" und scheinbar nicht in der Lage, die Kosten der Überfahrt zu tragen. Die Tochter Margaretha kam nach der Schulentlassung als Magd nach Gladbach (heute: Mönchengladbach). Dort heiratete sie am 5.2.1875 den Michael Prinzen. Bei der standesamtlichen Trauung war die Mutter der Braut, Anna Maria Schmitt geb. Schreffer, wie aus dem Heiratseintrag ersichtlich, persönlich anwesend. Aus der Ehe gingen 5 Kinder hervor. Margaretha Prinzen geb. Schmitt starb am 19. 7. 1926 in Mönchengladbach.

Literatur und Quellen:
Auswanderungsakten Gillenfeld aus dem Archiv der Verbandsgemeinde Daun
Heiratsbücher StA Gillenfeld 1827 und 1840, jetzt: StA Daun Josef Mergen: Die Amerikaauswanderung aus dem Landkreise Daun - 1958
Evang. Pfarrarchive Rommelsbach und Bernhausen - Infos Willi Raiser
Informationen von Wolfgang Schmitz, Mönchengladbach Infos und Fotos von Daniel Riordan, Menomonie/Wisconsin/ USA - Nachfahre von Jakob Reiser
1 „Josef Mergen: Die Amerikaauswanderung aus dem Landkreis Daun" - Nr. 723 - Der Tagelöhner und Pflasterer Jakob Reiser „.Herbst 1852
2 Nachweise über die Verhältnisse der umstehend genannten Personen(Anm. d. Verf. aus Allscheid), welche nach Amerika auszuwandern gesonnen sind - Für die richtige Aufstellung: Gillenfeld den 24ten Mai 1852 - Der Bürgermeister gez. Pieron
3 Rommelsbach - heute: Reutlingen
4 Mater - lateinische Bezeichnung für „Mutter"
5 Geburtsregister der Evang. Pfarrei Rommelsbach
6 Synodaler - Kirchenvorstand
7 1798-1802 waren die Kürassierregimenter Herzog Albert, Hohenzollern und Prinz Carl von Lothringen in Bernhausen stationiert. Jakob Weber gehörte vermutlich dem Regiment „Prinz Carl" an. (Q: Stadtgeschichte Bernhausen)
4 Geburtsregister Evang. Pfarrei Rommelsbach
8 illegitim = unehelich
9 Acatholisch = nicht katholisch
10 „Regis" = lat. König. Der Pfarrer wollte wohl die Herkunft mit „Königreich Württemberg" angeben.
11 Wildland: Land im Urzustand, ohne Bewirtschaftung, unge-rodet; Ödland; häufig verwendet im Sommer als Viehweide, Schafweide
12 Qadratrute - preuß. Flächenmaß - 1 Rute = 13,37 qm
13 Bei Castle Garden heisst der Familienname „Reiper", ein Lesefehler. www.castle-garden.org
14 Anna ist die uneheliche Tochter von Anna Reiser geb. Schäfer, geb. 6.11.1832 in Ulmen; sie wird in der Schiffsliste als Anna Reiser bezeichnet
15 Naturalisationsurkunde vom 17. Dezember 1847
16 Land Office - Büro zur Registrierung des Landankaufs
17 amerikanisches Landmaß - 1 Acre = 4.046,44 qm
18 Kewaskum ist heute ein Städtchen mit 4000 Einwohnern
2 a.a.O.
19 Wtb. - Abkürzung für Wittib = Witwe 1 a.a.O.