Das verschmähte Erbe

Gisela Bender, Deudesfeld

Wenn ich gewusst hätte, was mich erwarten würde, ich hätte mit Sicherheit einen anderen Tag für meinen Besuch auf dem Hof gewählt. So kam es wie es kommen sollte. Ich brachte mein Fahrzeug neben dem großen Viehtransporter mit einer fremden Autonummer zum Stehen. Während ich meinen Gurt öffnete und ausstieg, kletterten neben mir zwei Männer in das Monster von Lastwagen und starteten mit unheimlichen Getöse den Motor. Taub von dem unmittelbaren Radau, eingenebelt in einer schwarzen Wolke von Abgasen, ließ ich den Laster an mir vorbei rollen, bevor ich mich anschickte ins Haus zu gehen. Die Haustür war nur angelehnt, weder auf mein Klingeln noch auf mein Rufen erhielt ich eine Antwort. Nach einigem Zögern, gehe ich hinein, klopfe an die Küchentür. Allmählich merke ich, dass niemand im Haus ist. Weil ich nun einmal da bin, schaue ich auch noch in den Stall hinein. Auch diese Türe steht sperrangelweit offen. Gerade will ich den Hausherrn rufen, da sehe ich ihn. Er sitzt wie ein Häufchen Elend am Futtergang auf einem Heuballen, den Kopf tief auf die Brust gesenkt. Seine knochigen Hände sind wie zum Gebet auf seinen Knien gefaltet. Um ihn nicht zu erschrecken, gehe ich langsam zu ihm hin und schaue von oben auf ihn herunter. Mir dämmert langsam die Erkenntnis, was ausgerechnet in dieser Stunde auf dem Hof geschehen ist. Mir ist unwohl und ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Am liebsten würde ich leise, wie ich gekommen bin, wieder durch die offene Tür verschwinden.

Entschlossen drehe ich mich um und gehe; an der Tür bleibe ich stehen, zögere. Ich kann den alten Mann doch nicht einfach allein in seinem Schmerz dasitzen lassen. Unwillkürlich sehe ich mich in dem Stall um, die Ketten der eben abgeholten Rinder liegen noch wie abgeworfen auf den Ständen. Alle anderen Plätze waren, wie man sieht schon längere Zeit unbelegt. Jeder Quadratmeter des Bodens ist sauber

gefegt, die Fenster spiegelblank geputzt. Ich drehe mich um und schaue nach draußen, dort stehen zwei riesige Hochsilos. Meine Gedanken gehen zurück. Mit welchem Kraftaufwand mussten diese Silos gefüllt werden, eine wahre Sklavenarbeit für die ganze mitarbeitende Familie. Hier spiegelt sich ein typisches Bild eines Aussiedlerhofes, gebaut so Ende der 5Oziger Anfang der 60ziger Jahre. Während mein Blick über die gepflegte Grünlandflur schweift, beschäftigen meine Gedanken sich damit, wie viele Einzelparzellen das Ganze früher wohl gewesen sein mögen. Ich denke an den Kampf, den die meisten der Aussiedler zu kämpfen hatten, bevor der Standort ihrer Siedlung im Gemeinderat genehmigt war. Oftmals hatten sie dann das ganz Dorf gegen sich. Jeder war der Meinung ihm würde ein Stückchen Land weggenommen.

Dann waren sie da, sollten und wollten beginnen mit ihrer Arbeit auf dem Hof, und es fehlte an allem, an Land, an Vieh, an Maschinen und vor allem an Geld. Allgemein galt die Meinung, die Siedler bekommen alles, auch Geld, so viel sie wollen vom Staat. Für die Erschließung und auch für das Bauprojekt bekamen sie in der Tat verbilligte Darlehn, an die sie jedoch zwei Generationen lang gebunden sind. Im Endeffekt ein Geschäft für den Geldgeber, die Siedler hingegen befanden sich jahrzehntelang in einer Zinsknechtschaft gegenüber den Banken. Was alle von Anfang an genug hatten, war Arbeit. Aber alle und jeder für sich wurde damit fertig.

Allmählich wuchsen die Kinder heran und auch da waren sich fast alle einig, die sollten es einmal besser haben. Bildung hebe den Lebensstandard, so wurde ihnen stets suggeriert. So wurden die Kinder zur Schule und später auf die weiterführenden Schulen geschickt. Die Kinder sollten draußen ihre Erfahrungen machen und Erkenntnisse sammeln, bevor sie dann zurückerwartet wurden. In vielen bäuerlichen Familien, wie auch hier, zog sich das

„Heimkommen" immer wieder hinaus. Im Betrieb wurde nicht mehr investiert, irgendwann sahen die Eltern es dann ein, so geht es nicht mehr weiter.

Langsam drehe ich mich um und gehe zu dem alten Mann zurück. Er ist gerade dabei sich von dem Heuballen aufzurappeln. Ohne meine Hilfe wäre dies ein langwieriges Unterfangen geworden. Hüften und Rücken sind kaum noch in der Lage die Statur zu halten. Als er

endlich auf den Füßen steht, wischt er sich mit den großen Händen über die hohlen Backen. Unendlich lange dauert es, bis er den Kopf hebt und mich mit seinen traurigen Augen zu durchbohren scheint. Mit den Armen zeig er um sich herum und ohne das er etwas sagt, erahne ich, was er sagen will. Ja, ich verstehe ihn, verstehe ihn gut, denn auch in meinen Adern fließt noch bäuerliches

Blut.