Verlorene Jahre (1940-1945)

Luxemburger Zwangsarbeiter/innen im Kreis Daun

Wolfgang Schmitt-Kölzer

Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Luxemburg am 10. Mai 1940 legten die Besatzer u.a. die luxemburgische Hüttenindustrie still. Vor allem dadurch stieg die Zahl der Arbeitslosen von ca. 2000 im Jahre 1939 auf 26400 an. Diese Zahl ermittelte Dr. Jacobs, Leiter des Arbeitsamtes Trier, der als „Arbeitseinsatzreferent" nach Luxemburg gekommen war.1 Innerhalb kurzer Zeit übernahmen die Deutschen die Kontrolle über das luxemburgische Arbeitsamt. Das Führungspersonal bestand bald ausschließlich aus deutschen Beamten.2 Etwa 3300 Arbeitslose schickte die Behörde auf Arbeitsstellen „im Reich". Das war nicht ohne Risiko für die neuen Machthaber, denn von denjenigen, die „im deutschfeindlichen Lager" standen, befürchteten die Nazis eine „zersetzende Tätigkeit". Den meisten Luxemburgern lag zudem nichts daran, in Nazi-Deutschland zu arbeiten, auch weil sie glaubten, in ihrem Land bald wieder Arbeit finden zu können.

Luxemburger kommen in den Kreis Daun

Im Zuge dieser „Vermittlung" kamen viele Luxemburger auch in den Kreis Daun, etliche auf die Baustellen der Reichsautobahn. Allein in den drei Mehrener Autobahnlagern waren 181 Luxemburger untergebracht.3 Archivdokumente belegen, dass viele ihre Arbeitsstelle unerlaubt verließen oder nach einem Heimaturlaub nicht zurückkehrten.4 Es kam auch zu anderen Formen des Protestes. So soll der zwanzigjährige Michel Schwindel aus Gralingen5, der im Reichsautobahn-Lager Mehren II war, „staatsfeindliche Äußerungen" gemacht haben, wie der Tagesrapport der Gestapo Trier vom 08. November 1940 angibt. In einer Gaststätte soll er laut „Vive la France, Vive England" gerufen haben.6 Ebenfalls in Mehren fiel ein namentlich nicht genannter Luxemburger, der an der Autobahn der Firma Bödicker zu-

1941. Die ersten Luxemburger beim Arbeiten an der Autobahn, gezwungen von den Nazis. Foto:

Nachlass Jean-Pierre Bertrang

geteilt war, durch „Beleidigungen" auf. Diesen Vorfall von Mitte Oktober 1940 nahm die Oberste Bauleitung Reichsautobahn in Frankfurt/Main zum Anlass, dem Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen in Berlin, Fritz Todt, mitzuteilen: „Der noch auf der Baustelle tätige lux. Arbeiter wird durch die Gestapo bis zur endgültigen Klärung überwacht."7 Der Beobachtung durch die Gestapo folgte oftmals die Verhaftung. In den Akten des

Das Lager in Steiningen. Foto: Nachlass Jean-Pierre Bertrang

Strafgefängnisses in Wittlich finden wir eine Reihe von Luxemburgern, die wegen Arbeitsverweigerung an der Reichsautobahn festgenommen worden waren. So etwa Leo Kleffer aus Luxemburg-Stadt, der aus dem Lager in Brockscheid zunächst in „Schutzhaft" nach Wittlich und dann ins SS-Sonderlager Hinzert kam.8

Die Verschärfung der Lage ab 1941

War es bis dahin vor allem die durch Arbeitslosigkeit eingetretene wirtschaftliche Not, die viele Luxemburger zwang, im deutschen Reich zu arbeiten, errichteten die Nazis ab 1941 ein ausgeklügeltes System der Zwangsarbeit. Am 11. März 1941 erließ Gauleiter Simon die Verordnung über den „Arbeitseinsatz", wonach private und öffentliche Betriebe sowie Verwaltungen Arbeitskräfte auch „ins Reich" abgeben mussten. „Zuwiderhandlungen" wurden mit bis zu sechs Monaten Gefängnis

geahndet.9 Am 23. Mai 1941 verordnete Simon für Luxemburg einen obligatorischen Reichsarbeitsdienst (RAD) für junge Männer und Frauen im Alter von 17 bis 25 sowie am 10. Februar 1943 die Kriegshilfsdienstpflicht (KHD) für junge Frauen.10

„Sie bieten nicht die Gewähr".

Eine in den Augen der Nazis besonders interessante Gruppe von Luxemburgern waren die Beamten. In einer Verordnung vom 31. März 1941 verfügte Gauleiter Simon, dass Beamte, die nicht die Gewähr dafür bieten, „dass sie jederzeit rückhaltlos [...] die Pflichten, die durch die Einrichtung einer deutschen Verwaltung und mit Rücksicht auf die deutschbewusste Haltung der Bevölkerung in Luxemburg begründet sind, vorbildlich erfüllen, können [.] vom Dienst enthoben werden."11 Gründe für die Entlassung waren z. B. die Verweigerung der Mitgliedschaft in der Volksdeutschen

Bewegung (VdB), dass ihre Kinder nicht der Hitlerjugend beitraten oder das Nichtablegen französischer Namen. 640 Personen waren ab April 1941 von Dienstenthebung und Berufsverbot betroffen, darunter etwa 30 Frauen.12 Die Nazis zwangen die meisten von ihnen, als Aushilfsangestellte im „Altreich" gelegenen Teil des Gaues Moselland zu arbeiten. 59 der entlassenen Beamten schickte Gauleiter Simon in die Reichsautobahn-Lager der Eifel-Kreise Daun und Wittlich. (Siehe Heimatjahrbuch 2016). Unter diesen waren etliche aus dem aktiven Luxemburger Widerstand. Durch die für sie ungewohnte schwere körperliche Arbeit sollte ihr Widerstandwille gegen die deutschen Besatzer gebrochen werden. Aus einer Meldung des Sicherheitsdienstes (SD) der SS sind wir über den Umfang der Zwangsarbeit der Luxemburger Beamten informiert. „So seien beispielsweise in dem kleinen Kreisstädtchen Prüm (Eifel) allein 56 Luxemburger in verschiedenen Ämtern beschäftigt. Im Amtsbezirk Gerolstein beschäftige die Reichsbahn etwa 80 Luxemburger. In Daun seien drei luxemburgische Dienstverpflichtete, außerdem ein luxemburgischer Angestellter und eine luxemburgische Angestellte auf dem Landratsamt tätig, auf dem Finanzamt und im Bürgermeisteramt derselben Stadt arbeiteten je ein Angestellter und in der Dauner Sparkasse zwei Dienstverpflichtete und ein frei angestellter Luxemburger."13 Wieso gerieten diese Luxemburger ins Visier des Sicherheitsdienstes, also des Geheimdienstes der NSDAP, der in enger Kooperation mit der Gestapo zur Bekämpfung und Vernichtung politischer Gegner eingesetzt war? Die Antwort finden wir in derselben Meldung, wo es heißt, dass sich die Luxemburger, die im Kreis Daun eingesetzt sind, regelmäßig träfen. „So habe ein auf dem Bürgermeisteramt Birgel, Krs. Daun, beschäftigter Luxemburger, eine Zusammenkunft in Gerolstein organisiert, an der insgesamt 15 Luxemburger aus der ganzen Umgebung teilgenommen haben. Nach Meinung reichsdeutscher

Kreise entwickeln sich solche Treffen mehr und mehr zu Brutstätten des Widerstandes. So habe z. B. der Kreisschulrat von Daun festgestellt, dass nach derartigen gemeinsamen Veranstaltungen die luxemburgischen Lehrer versuchten, Widerstand gegen von ihm gegebene Anordnungen zu leisten."14 Aus der Gruppe der Luxemburger Beamten möchte ich exemplarisch das Schicksal des Eisenbahningenieurs Jean-Pierre Bertrang vorstellen.

Aus dem Tagebuch des Jean-Pierre Bertrang

Der Verein der „Freunde der Geschichte und des Museums der Stadt Esch-sur-Alzette" erhielt vor einiger Zeit von Yvette Ginter-Bertrang, der Tochter des Petinger Eisenbahningenieurs Jean-Pierre Bertrang, dessen Tagebuch, in dem er auch auf seine Zeit als Zwangsarbeiter im Reichsautobahnlager in Steiningen und als Hilfsangestellter in Trier eingeht.15 Viele bei der Prinz-HeinrichEisenbahn in Petingen Beschäftigte wehrten sich gegen die Übernahme ihres Betriebes durch die Deutschen. Nachdem bereits fünf Kollegen für mehrere Wochen im Gefängnis zugebracht hatten, traf es am 19. Februar 1941 Bertrang und seinen Kollegen Berchem. Nach Verhören im Escher Gefängnis durch die Si-

Bertrang (ganz links) nach dem Krieg im Kreise seiner Eisenbahn-Kollegen. Foto: Camille Robert, Esch-sur-Alzette

cherheitspolizei erfolgte ihre Überführung ins Gefängnis in Luxemburg-Grund. Nach sieben Tagen brachte die Gestapo die beiden in die berüchtigte Villa Pauly zum Gestapo-Verhör. Ihnen wurde Deutschfeindlichkeit vorgeworfen und u.a. auch die Verweigerung des HitlerGrußes. Nach seiner Entlassung als Beamter erhielt Bertrang am 23. Mai 1941 von der Petinger Polizei die Aufforderung, sich beim Arbeitsamt in Esch zu melden. Die Behörde verpflichtete ihn auf unbestimmte Zeit als Hilfsarbeiter an der Reichsautobahn. Nachdem ihn der Vertrauensarzt des Arbeitsamtes am 26. Mai für tauglich befunden hatte, musste er sich am selben Tag in Luxemburg melden und wurde nachmittags zusammen mit zwei weiteren Ingenieuren, drei Eisenbahn-Inspektoren, drei Rechtsanwälten, drei Schul-Professoren und einem Postbeamten in einem Omnibus ins Autobahn-Lager Steiningen gebracht. Im Tagebuch vermerkt Bertrang: „Meine Kräfte nahmen täglich ab. Die Arbeit, welche für mich zu schwer war, wurde immer unerträglicher. Am 20. Juli musste ich mich wegen gänzlicher Erschöpfung krank melden und begab mich zum zuständigen Arzt nach Daun. Dieser schloss auf Herzschwäche und schickte mich zum Vertrauensarzt nach Trier, welcher dann nach eingehender Untersuchung mich zur Erholung und Genesung bis auf weiteres nach Hause gehen ließ." Fotos aus dem Tagebuch zeigen, dass der Sommer 1941 sehr heiß war und die neun bis zehnstündige Arbeit mit Hacke und Schippe kaum auszuhalten war. Laut Bertrangs Lohnzettel der Firma G. Ch. Bödicker, Tief und Hochbaugesellschaft Frankfurt a. M., mussten die Luxemburger durchgehend an sieben Tagen in der Woche arbeiten. Im Kontext des Widerstandes in Luxemburg gegen die von Gauleiter Simon verordnete „Personenstandsaufnahme" wurde Bertrang am 04. November 1941 erneut verhaftet. Drei Gestapo-Beamte aus Koblenz führten frühmorgens eine Hausdurchsuchung durch und brachten ihn ins Gebäude der Sicherheitspolizei in Esch-sur-Alzette. Im Verhör warf ihm die Gestapo u. a. vor, seine Dienstverpflichtung an der Autobahn als „altertümliche Zwangsarbeit" bezeichnet zu haben. Nach abermaligem stundenlangem Wandstehen

wurde Bertrang mit 40 anderen Häftlingen nach Luxemburg-Hollerich in den Keller des Schulgebäudes gebracht. In der Nacht transportierte die Gestapo mehr als 100 Luxemburger von dort mit Bussen und Lastwagen ins KZ Hinzert und wurden durch die Gestapo verhört. Nach 21 Tagen in Hinzert konnte Bertrang nach Luxemburg zurückkehren. Zu seiner Herzschwäche war durch die Torturen in Hinzert eine Bronchitis hinzugekommen, so-dass er bis Jahresende arbeitsunfähig war. Am 26. Januar 1942 verpflichtete das Arbeitsamt Bertrang auf unbestimmte Zeit als Bürogehilfen ans Wasserwirtschaftsamt in Trier.16

Luxemburger Frauen in Gillenfeld und Gerolstein

Ab dem 16. September 1942 existierte in Flußbach bei Wittlich ein Frauenstraflager, das dem Gefängnis der nahegelegenen Kreisstadt unterstand. Bis Januar 1945 waren hier knapp 2000 mehrheitlich deutsche Frauen inhaftiert. Unter den Frauen waren auch knapp 300 Luxemburgerinnen, die aus den unterschiedlichsten Gründen verhaftet worden waren.17 Für viele Frauen war Flußbach nur ein Durchgangslager. Sie wurden nach wenigen Tagen in Zwangsarbeits-Kommandos eingeteilt. Solche Nebenlager waren bei der „Trockenkartoffel GmbH" in Gillenfeld oder auf dem Gelände des Gerolsteiner Brunnen. Das Lager in Gillenfeld war für 150 Frauen, das in Gerolstein für 60 Frauen ausgelegt.18 Andere Frauen waren zur Zwangsarbeit in landwirtschaftlichen Arbeitskommandos verpflichtet. Aus Akten des Strafgefängnisses in Wittlich sind wir über einzelne Luxemburgerinnen informiert. Exemplarisch sollen zwei Frauen vorgestellt werden. Suzanne Didier, geb. Huss, geboren am 25. Januar 1892 in Elvingen, Kanton Redingen, wohnhaft in Saeul, und ihre Tochter Therese Kadel-Didier, wurden Mitte Juni 1944 wegen „Beihilfe zur Fahnenflucht" verurteilt, waren zunächst für zwei Wochen im Diekircher Gefängnis und dann kurzzeitig im Luxemburger Stadtgefängnis inhaftiert. Am 14. Juli erfolgte ihre Überstellung ins Frauenstraflager Flußbach. Von dort brachten Justizbeamte sie zunächst auf eine „Außenarbeitsstelle in Mariahof/Trier" und später zur Zwangsarbeit ins

Lager der Kartoffel verarbeitenden Fabrik Gillenfeld. Die Wittlicher Gefängniskartei vermerkt, dass sie am 04. September 1944 aus dem Lager Gillenfeld fliehen konnten.19 Über diese Flucht sind wir aus verschiedenen Quellen gut informiert.

Flucht aus dem Lager Gillenfeld

In der Nacht vom dritten auf den vierten September 1944 fand im Gillenfelder Lager eine von langer Hand geplante Flucht statt, die das Escher Tageblatt damals als „Husarenstreich" bezeichnete. Der in Luxemburg bekannte Profi-Radrennfahrer Christoph Didier (Teilnehmer der Tour de France und Gewinner der Katalonien-Rundfahrt 1940) und der Mann seiner Schwester fuhren mit dem Fahrrad nach Gillenfeld, um die Mutter und Didiers Schwester zu befreien. Die beiden hatten Didiers jüngerem Bruder in Luxemburg zur Fahnenflucht ver-holfen. Die Männer kundschafteten das Lager aus, unterstützt vom Gillenfelder Dorfpolizisten, einem zwangsrekrutierten Luxemburger Gendarmen. Nachts drangen Didier und sein Schwager in das Lager ein, befreiten sechs Luxemburgerinnen und eine Deutsche. Sie nahmen ihre Verwandten auf ihren Rädern mit und erreichten am nächsten Morgen in Wasserbillig die luxemburgische Grenze. Es wird berichtet, dass eine weitere Luxemburgerin zu fliehen versuchte, was aber nicht gelang. Als das Lager evakuiert wurde, soll sie nach Hessen transportiert und dort erschossen worden sein.20

Karteikarte Susanne Didier Frauenstraflager Flussbach.

Foto: Nationalarchiv Luxemburg
1 Nationalarchiv Luxemburg (ANLux), CdZ-D-0403, S. 5. Pressekonferenz Jakobs am 28.09.1940.
2 ANLux, CdZ-A-0730.
3 Landeshauptarchiv Koblenz (LHA Ko), Best. 442, Nr. 14278.
4 Bundesarchiv Berlin (BArch Berlin), R 4601, Nr. 3052, S. 1-3.
5 Die luxemburgischen Ortsnamen werden in der deutschen Sprachbezeichnung angegeben.
6 LHA Ko, Best. 442, Nr. 15792, S. 299.
7 BArch Berlin, R 4601, Nr. 1199, S. 129
8 Gefangenenbuch des Strafgefängnisses Wittlich, früher CDRR, heute ANLux, unverzeichnet.
9 VOBl-L (1941), S. 143-145. Die Verpflichtung konnte nach § 14 auch auf unbeschränkte Dauer erfolgen. Dies hatte in der Regel den Verlust des alten Arbeitsplatzes zur Folge.
10 VOBl-L (1941), S. 232 und VOBl-L (1943), S.21f.
11 VOBl-L 1941, S. 186.
12 AREND, Alphonse, Les destitues politiques. „Sie bieten nicht die Gewähr", in: BOSSELER, Nicolas, STEICHEN, Raymond: Livre d'Or de la Resistance Luxembourgeoise de 1940-1945, Esch-sur-Alzette 1952, S. 260-269.
13 BOBERACH, Heinz (Hrsg.): Meldungen aus dem Reich 19381945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, Bd. 10, Herrsching 1984, Nr. 295 vom 29. Juni 1942, S. 3883. Neben entlassenen Beamten waren auch Luxemburger Freiberufler von der Dienstverpflichtung betroffen wie der junge Zahnarzt Dr. Arnold Urbany aus Düdelingen, der in Daun arbeiten musste. Dank an Camille Robert für die Information.
14 Ebd., S. 3883. Diese „Zusammenkünfte" werden erwähnt in DREESEN, Josef: Der Kreis Daun im Dritten Reich, Meckenheim 1900, S. 313-316 mit weitergehenden Informationen aus lokalen Archiven.
15 Freunde der Geschichte und des Museums der Stadt Esch-sur-Alzette, Artikel 44 - 7 (2019) Luxemburg: Kriegsgeschehen 1940-1945. Umschreibungen von handgeschriebenen Texten aus Kriegstagebüchern. Camille Robert (Kommentare), Johny Karger (Layout).
16 Laut Bertrang waren 38 Luxemburger/innen in Trier dienstverpflichtet.
17 RATHS, Aloyse: Livre d'Or des prisons nazies et des detenus luxembourgeois de la periode 1940-1945, Luxembourg
1996, S. 118-127.