„... und sie schrien nach Klopapier"

Hubert Pitzen, Stadtkyll

Ein Land auf Klopapiersuche

Dieser Refrain eines Kinderliedes beschreibt die Misere in den meisten Supermärkten während der Corona-Krise: Leere ToilettenpapierRegale! Schulterzucken ernteten die Kunden von den Angestellten als Antwort auf die Frage, wann denn nun wieder Klopapier zu haben sei.

Im oben erwähnten Lied sitzen zwei „Gestalten" auf einem „Donnerbalken" und schreien verzweifelt nach Klopapier. Nacheinander erscheinen nicht näher definierte Personen, die sich auf dem „Donnerbalken" einreihen und in den Chor einstimmen. Letztendlich zerbricht der Balken, nachdem der „Siebte" auf dem Balken „wippte" und der „Achte" die „Talfahrt" auslöst und alle in ihre Hinterlassenschaft purzeln. Erst der „Zehnte" bringt das ersehnte Klopapier.

Nicht immer verlief das Verlangen und die Sehnsucht nach Klopapier so glimpflich. Verstörende und verwackelte Bilder, aufgenommen mit Handykameras, übermittelten im Fernsehen und in den sozialen Netzwerken so manchen Kampf um das begehrte „weiße, weiche Gold". Zu hören und zu sehen waren Geschrei, Herumgezerre und Handgreiflichkeiten an Einkaufswagen. Der Streit um das Klopapier endete auch schon mal mit Blessuren bei den Streithähnen. Erst das Eingreifen von Security und sogar der Polizei vermochte die aufgeheizte Atmosphäre zu entschärfen. Und diese Szenen offenbarten, dass so manche/r Zeitgenosse/Zeitgenossin die Kontenance verlor. Ein ganzes Land war auf der verzweifelten Suche nach Klopapier. Nebenbei bemerkt: Auch Nudeln, Mehl und Konserven suchte man plötzlich vergeblich an ihren angestammten Plätzen. Hamsterer hatten ganze Arbeit geleistet.

Wer mag wohl auf die geniale Idee gekommen sein, Klopapier zu horten? Oder war es eine Schnapsidee? Manch eine/r entwickelte in der ganzen Misere ein Geschäftsmodell, indem er/

sie ergattertes Klopapier zu überhöhten Preisen im Internet anbot.

Das Recht auf einen sauber geputzten Hintern schien entschwunden und galt nicht mehr. Über Nacht hatte sich das „weiße, weiche Gold" zum Statussymbol und Wertpapier entwickelt. Früher verstand man unter „weißem Gold" das kostbare Gewürz „Salz", das heute für ein paar Cent zu haben ist. Außerdem galt „Baumwolle", dort wo sie wuchs, als „weißes

Gold".

Warum ausgerechnet Klopapier?

Die bei klarem Kopf gebliebenen Zeitgenossen stellten sich immer wieder die Frage: Warum ausgerechnet Toilettenpapier? Meist erhielt man als Antwort ein Schulterzucken oder ein „Unglaublich!" als Antwort. Die Jagd auf das begehrte Klopapier wurde nun ein Fall für die Psychologen. Ihre Erkenntnis und Erklärung lautet: Die Wahl war wohl eher dem Zufall zu verdanken. Es lässt sich bestens horten, da es kein Verfallsdatum hat. Den Hamsterer beschleicht das Gefühl, sein Geld gut angelegt zu haben (Klopapier = Wertpapier). Wenn Medien täglich leer geräumte Toilettenpapier-Regale präsentieren, wird der „Herdentrieb" aktiviert. Man bekommt das Gefühl, zu spät zu kommen. Mal ehrlich: Fühlten nicht auch Sie ein merkwürdiges Zucken in den Beinen, das Ihnen signalisierte, möglichst umgehend im Supermarkt nachzuschauen, ob wieder/noch Klopapier zu haben war?

Vereinzelt attestierten Psychoanalytiker den Deutschen eine „generelle Zwanghaftigkeit", was psychoanalytisch der „analen Phase" entspricht. Die Franzosen, als lebensfrohe Menschen bekannt, horteten dagegen Rotwein und Kondome. In einer Studie eines US-amerikanischen Professors (1985) schrieb dieser den Deutschen eine vermeintliche Analfixiertheit zu. Schon in den Texten Martin Luthers sei die „skatologische Tradition" (griech. skatos

= Kot) verankert. Diese tauche auch immer wieder in Werken deutscher Klassiker und späterer Dichter bis in den heutigen allgemeinen Sprachgebrauch auf. Als Beispiele sollen der Ausruf „Sch..." und das „böse" Schimpfwort mit „A" am Anfang dienen. Auch die frühere gängige scharfe Beleidigung „Hundsfott(er)" unterstreicht die gewagte These.

Hamsterkäufe als massenpsychologisches Problem

Meist in Mangel-, Kriegs- und Nachkriegszeiten entwickelten sich Hamsterkäufe zu einem globalen Problem. Sie dien(t)en als Strategie zur Lebenserhaltung. Dies betrifft jedoch logischerweise nicht das Hamstern von Klopapier, sondern das Horten von Lebensmitteln, Edelmetallen, Geld und Waffen. Ältere Zeitgenossen können sich noch an die „Hamsterfahrten" nach dem Zweiten Weltkrieg erinnern, als Städter auf's Land fuhren und Wertgegenstände und Lebensmittel den Besitzer wechselten. Für die jüngere Zeit lassen sich folgende Beispiele anführen:

1986: Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl: Horten von H-Milch 2006: Vogelgrippe-Epidemie: Horten von Medikamenten

2012: Glühlampen nach einem Verbot durch die EU-Kommission

Und was ist mit Klopapier? Tatsächlich gab es 1973 während der ersten Ölkrise (autofreie Sonntage!) in Japan ein Run auf Toilettenpapier. Eine „Klopapier-Panik" führte bereits damals zu Hamsterkäufen.

Eine kurze Kulturgeschichte des Klopapiers

Während der „Klopapier-Krise" wird sich so mancher Zeitgenosse Gedanken darüber gemacht haben, wie wohl unserer Vorfahren für die Säuberung der relevanten Körperstellen nach dem Stuhlgang gesorgt haben. Archäologen konnten in einem Hallstätter (bei Salzburg) Salzbergwerk der Bronzezeit die Verwendung von Pestwurzblättern nachweisen. Auch unsere germanischen Vorfahren nahmen sich geeignete Produkte von „Mutter Natur" wie Moos, Blätter und Gras. Sogar Federvieh musste Federn lassen. Anders die Griechen: Sie verwendeten Steine und Tonscherben als

Schaber. Die als Hygiene-Freaks bekannten Römer mit ihrer Bäderkultur benutzten zum Stuhlgang Latrinen, die allerdings kein „stilles Örtchen" darstellten. Wie im eingangs erwähnten Lied hockten sie nicht auf einem „Donnerbalken", sondern in aller Öffentlichkeit auf steinernen, kastenförmigen Aufbauten. Die Hinterlassenschaft verschwand beispielsweise in Rom in der „cloaca maxima". Als Säuberungsutensil kam ein Schwamm zum Tragen, der auf einem Stock aufgespießt war. Nach seinem Gebrauch stellte man den Schwamm in einen Eimer mit Salzwasser zurück. Die erfindungsreichen Chinesen entwickelten im 6. Jahrhundert den Prototyp des Toilettenpapiers. Im 14. Jahrhundert besaßen die chinesischen Klopapierblätter einen Umfang von einem halben Quadratmeter. Bei uns jedoch verhalf man sich wie jeher noch mit Stroh, Heu und Stofflappenresten, wobei auch noch immer Moos und Blätter ihren Dienst versahen. Ab dem 16. Jahrhundert kam dann minderwertiges Papier zum Zuge. Durch das allmähliche Aufkommen von Zeitungen stieg die industrielle Papierherstellung an. Der US-Amerikaner Joseph Gayetty produzierte 1857 das erste kommerziell genutzte Klopapier mit Aloe-Vera-Extrakt, das gleichzeitig als Linderung bei Hämorrhoiden Verwendung fand. 1888 stellte das breit aufgestellte Eisenwerk Gaggenau (Kreis Rastatt) perforierte Blätter auf Rollen her, die mit einer Hängevorrichtung angeboten wurden.

Zwei Jahre später produzierte die Firma „Scott Paper Company" (USA) Klopapier auf Rollen, wie wir sie kennen. 1928 fertigte die Firma Hakle (Hans Klenk) in Ludwigsburg Rollen mit 1000 Blatt an; allerdings hielt sich der Komfort in Grenzen. Das Papier ähnelte mehr rauem Krepppapier. Die USA, weiter führend in der Klopapier-Innovation, brachte 1958 das weiche Tissue-Papier auf den Markt. Doch in der DDR hielt sich noch lange das raue Papier, das Witzbolde zu der Frage animierte: „Warum ist das Klopapier in der DDR so rau?" - Antwort: „Damit auch der letzte A... rot wird." In Mangel- und Krisenzeiten zerschnitt man Zeitungspapier in kleine Blätter, lochte sie an einer Ecke und spießte sie an einem Haken im „stillen Örtchen" auf. Ich sehe noch meinen

Opa in den 1950er-Jahren, wie er akribisch eine Zeitung (Trierische Landeszeitung) zerschnitt, um die Blätter in der Toilette mit einem Seil an einem Haken zu platzieren. Hierbei blieb natürlich die Hygiene auf der Strecke; die bleihaltige Druckerschwärze trug sicherlich nicht zum gesundheitlichen Wohlbefinden bei. Die Innovationsgeschichte des Toilettenpapiers hatte aber noch nicht ihren Zenit erreicht. 1972 gab die Firma Hakle ein zweilagiges Toilettenpapier heraus; 1984 folgte das dreilagige. Hygienetechnisch entwickelte sich der Toilettengang seit 1977 zu einem vorerst letzten Höhepunkt. Wieder war es die Firma Hakle, die mit „Hakle-Feucht" das Klopapier mit einer pH-neutralen Lotion tränkte. Noch ein paar „nackte Zahlen": Vor Corona

(2017) verbrauchten die Bundesbürger 2,5 Milliarden Rollen. Während der Corona-Pandemie meldete das Statistische Bundesamt eine Steigerung von 211 %!

Wird es in einer von den Virologen und Epidemiologen befürchteten „zweiten Welle" an Co-rona-Infektionen im Herbst/Winter 2020/21 zu mehr Vernunft im Kaufverhalten kommen oder erlebt der Klopapier-Boom eine Renaissance?

Quellennachweis:

Behmer K., Das neue weiße Gold, in: Zeitschrift „Geschichte", 6/2020

Internetrecherche:

wikipedia org/wiki/Toilettenpapier

mdr.de/Zeitreise/Toilettenpapier