Geschichte schreiben als Studentin in der Coronazeit

Rebecca Umbach, Darscheid

Vor etwa ein, zwei Jahren habe ich Astrid Lindgrens Buch „Die Menschheit hat den Verstand verloren" gelesen und dachte mir, wie furchtbar spannend es sein muss, über so eine interessante Zeit berichten zu können, Teil weltlicher Geschichte zu sein. Meine Großmutter wuchs in der Nachkriegszeit auf, meine Eltern erlebten den Kalten Krieg und den Mauerfall inklusive Wiedervereinigung mit. Meine älteren Cousins und Cousinen hatten Historisches bewusst miterlebt, wie 9/11. Und dann gibt es mich. Meine Mutter betont immer wieder, dass ich eine Sonnenfinsternis miterlebt habe und nicht nur eine Jahrhundertwende, sondern sogar eine Jahrtausendwende! Bringen tut mir das allerdings reichlich wenig, da ich damals ein Jahr alt war. Seit ich mein Abitur habe stelle ich mir immer wieder die Frage, was ich später meinen eigenen Kindern einmal Spannendes berichten könnte. Da muss ich gar nicht lange darüber nachdenken! Da gibt es nichts. Bis vor kurzem dachte ich, das Interessanteste wäre wohl die Tatsache, dass 2016 Donald Trump der Präsident der Vereinigten Staaten wurde. Doch dann kam das neuartig mutierte Coronavirus und plötzlich schien auch ich die Möglichkeit zu haben, in die Geschichte einzugehen.

Ich wollte mir ein Vorbild an Astrid Lindgren nehmen und selbst ein Tagebuch führen. Ich habe sogar darüber nachgedacht wie sie Zeitungsartikel auszuschneiden. Allerdings holten der Alltag und die Realität mich schnell aus den Träumen zurück, denn Uni und Arbeit finden seit drei Monaten komplett digital statt. Während ich eine Woche vor Semesterbeginn noch Angst hatte, völlig unorganisiert und undiszipliniert zu sein und in diesem Semester unterzugehen, stelle ich jetzt fest, dass mein Schlafrhythmus besser denn je ist. Ich stehe freiwillig und konsequent

zwischen 6 und 8 Uhr auf. Am ersten Tag der Uni saß ich um halb sieben bereits am Laptop und beschäftigte mich mit „present time". Die Umstellung auf digitalen Nachhilfeunterricht auf meiner Arbeit lief da etwas turbulenter und emotionaler ab. Zu Beginn war ich absolut überfordert, weil mein Skype-Konto gesperrt wurde und es sich partout nicht mit meiner Handynummer entsperren ließ. Außerdem war es anfangs ein großer Mehraufwand, weil nicht alle eine Kamera hatten oder Programme, um einfache Arbeitsblätter zu öffnen. Allerdings habe ich die Technik bezwungen und nun arbeiten wir zusammen. Inzwischen ist das Semester fast vorbei, ich habe die komplette Serie Gilmore Girls gesehen, den Großteil meiner Uni-Leistungen für dieses Semester bereits erledigt und arbeite teilweise doppelt so viel wie im vorherigen Semester. Ganz zu schweigen von den Videospielen und Buchreihen, die ich endlich beendet habe. Und trotzdem ist da noch so viel Freizeit.

Das Leben mit Corona ist schon etwas gewöhnungsbedürftig. Vor allem wenn man bedenkt, dass das Ganze einem an Karneval noch so vollkommen unwahrscheinlich und unbegreifbar erschien. Die Medien füllten sich immer mehr mit Informationen und Nachrichten zum Coronavirus, aber ich habe mich nicht wirklich beeindrucken lassen. Was mir allerdings wirklich Angst gemacht hatte, waren die leeren Regale in sämtlichen Discountern und Supermärkten! Doch das war erst der Anfang, denn dann ging alles ganz schnell und plötzlich war alles zu und teilweise wusste man nicht mal mehr, ob man das Haus noch für einen Spaziergang verlassen durfte oder nicht. Schließlich waren und sind die Regeln in allen Bundesländern unterschiedlich. Das kann einen schon mal verwirren. Auch wenn jetzt die meisten Ge-

schäfte wieder geöffnet sind, überlege ich mir dreimal, ob ich wirklich in die Stadt fahren will, um einzukaufen, nur damit ich mir für einen Ordner oder für Post einen Einkaufswagen holen muss. Ich habe volles Verständnis für diese Regelungen, aber es scheitert bei mir in fünfzig Prozent der Fälle schon daran, dass ich selten Kleingeld besitze, ergo kann ich mir auch keinen Wagen holen. Das ist mir dieses Jahr kurz vor Muttertag passiert. Aber zum Glück hat meine Mutter gefühlt eine ganze Sammlung dieser genialen Einkaufswagenchips. Jetzt hat sie einen weniger. Außerdem habe ich daraus gelernt, dass die drei wichtigsten Gegenstände in der Pan-dekalypse folgende sind: die obligatorische Maske, die zum Mode-Accessoire geworden ist, Desinfektionsmittel und Einkaufswagenchips - oder Kleingeld, aber das ist ja auch nicht mehr so gern gesehen. Zu Beginn waren es noch Klopapier und Konserven. Ansonsten sind die Änderungen doch eigentlich alle recht angenehm. Ich meine, dank dem vielen Desinfektionsmittel sind die Menschen endlich mal alle keimfrei. Aber Türgriffe machen mir noch genauso viel Angst wie vorher. Auch die Masken sind gar nicht mal so schlimm, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat flach zu atmen und möglichst wenig zu sprechen. Kritisch wird es, wenn man eine Brille trägt.

Aber Scharfsehen wird ohnehin völlig überbewertet, wo bleibt denn da die Fantasie. Vor Jahren habe ich einmal aus ein paar Metern Entfernung eine Laterne gegrüßt, weil ich sie für eine alte Dame hielt. Mit Brille wäre das nicht passiert! Aber zurück zum Thema. Jede Krise hat etwas Positives an sich, denn sie regt zum kritischen Denken an und bringt Wandel. Viele Menschen gehen jetzt viel öfters raus in die Natur, von der wir ja nun reichlich haben, man bewegt sich mehr, und wenn man nicht geplagt von finanziellen oder erzieherischen Sorgen ist, kann man sich sogar etwas entspannen. Meine Lage ist relativ entspannt. Mein größter Wermutstropfen ist die Tatsache, dass ich ausgerechnet dieses Jahr das Studentenleben endlich vollkommen auskosten wollte. Ich wollte mit Freunden auf Partys, zum Uni-See und ein-

fach nur auf dem Campus sein, denn der ist im Sommer besonders schön. Auch von der Frankfurter Buchmesse muss ich mich wohl gedanklich langsam trennen. Es war auch die ein oder andere Reise ins Ausland geplant. Aber immer schön positiv denken! So spare ich bestimmt den ein oder anderen Hunderter. Das rede ich mir auch immer ein, wenn ich an meine Freunde aus der Uni denke. Sobald ich anfange schrecklich unzufrieden mit der Situation zu sein, fange ich an zu rechnen, wie viel Spritgeld ich mir dieses Semester spare! Außerdem gibt es ja auch noch Skype, Discord, Whatsapp und eine Million andere social media Plattformen. Ich denke, wir sollten diese Krise nutzen und uns auf das besinnen, was wir haben. Ich bin überrascht, wie viele mir unbekannte Feldwege es allein in meinem Dorf gibt. Der Großteil der Bevölkerung in der Vulkaneifel und Umgebung hat den Luxus der Natur. Wir können jederzeit ins Grüne und sind eben nicht gefangen, wie die Leute in den Großstädten es teilweise waren. In der aktuellen Situation können wir uns endlich einmal die Zeit nehmen, Dinge zu tun, die wir sonst nicht tun würden oder wofür uns unsere Zeit zu schade wäre, die uns aber trotzdem nicht ganz loslassen. Die einen überwinden ihren inneren Schweinehund und treiben Sport, die anderen lernen eine Fremdsprache. Es gibt so viele Möglichkeiten. Außerdem bietet Corona noch viele weitere Aspekte. Die Natur erholt sich etwas, es wird wieder mehr Solidarität gezeigt und die Digitalisierung in Deutschland wird nun wohl endlich mal vorangetrieben. Ich möchte keinesfalls die negativen Auswirkungen beschönigen. Menschen stehen vor dem Verlust ihrer beruflichen Existenz, berufstätige Eltern wissen nicht, wohin mit den Kindern und es sterben Menschen. Aber das hören wir alle tagtäglich in den Medien.

Deshalb denke ich, sollten wir das Beste aus der Sache machen und es versuchen mit Humor anzugehen. Inzwischen hat sich die Lage ja auch etwas stabilisiert und sogar die ersten Verschwörungstheoretiker verlassen ihre Klopapierfestungen! In diesem Sinne, stay heal-thy und eine angenehme Rest-Krise!