Dorf- und Stadtplätze im Portrait meiner Kindheit und Jugendzeit in Gerolstein

Angela Ehrhardt, Winterspelt

Wenn ich an meine Kindheit in den frühen sechziger Jahren in Gerolstein zurückdenke, fallen mir sofort mehrere Treffpunkte ein, an denen meine Freundinnen und ich uns sehr gerne aufhielten. Wir haben diesen gemeinsamen Anlaufstellen sehr viel Bedeutung beigemessen, und sie waren einfach wichtig für uns. Diese Plätze kannte jeder, und wir gingen ohne große Verabredung einfach dorthin. Man traf erfahrungsgemäß immer jemanden, der auch auf der Suche nach Abwechslung und Geselligkeit war. Wir hatten weder gemütliche Kinder- oder Jugendzimmer, außerdem wenig Spielzeug und waren daher darauf angewiesen, uns in kleinen Grüppchen in verschiedenen Zusammensetzungen an diesen Orten zu treffen.

Im Wechsel der Jahreszeiten nutzten wir im Frühjahr die vielen Gelegenheiten, die uns die aufbrechende Natur bot. Stundenlang haben wir am Rasbach gespielt, Kaulquappen gefangen oder beobachtet, Blumensträuße gepflückt und mit Steinen Dämme im Wasser gebaut, die lustige Überquerungen erlaubten. Dabei wurden wir natürlich öfter nass, weil wir uns entweder ungeschickt anstellten oder unsere Bauwerke unter uns nachgaben. Zuhause konnten wir uns dann auf ein gehöriges Donnerwetter gefasst machen, wenn wir mit nassen Schuhen zurückkehrten. Das hielt uns aber nicht von unseren Unternehmungen ab, und ich erinnere mich, am Bach und in einem angrenzenden kleinen Sumpfgebiet viele selbstvergessene Stunden verbracht zu haben. Natürlich kam dort auch das ganze Repertoire der kindlichen Verhaltensweisen zum Vorschein: Verbrüderungen für einen Nachmittag, Tage später gegenseitige Verleumdungen und

Beschimpfungen, die neue Bündnisse zwischen uns erforderlich machten. So war nicht nur die Natur spannend, sondern den nötigen Zündstoff lieferten wir gleich selbst mit. Wie oft zogen ausgegrenzte Kinder weinend nach Hause, wenn wir sie für unsere Spiele entweder als zu klein oder zu lästig empfanden. Waren wir in unseren Spielnachmittagen in der freien Natur ganz im wörtlichen Sinne frei, so gab es aber die anderen wichtigen Treffpunkte, wo wir uns einem klaren Regelwerk fügten. Das war in der Kirche und in der Schule. In der Kirche habe ich immer schon den gleichen Ablauf ohne spannende Überraschungen gemocht. So ergab sich für uns Kinder gerade in der Messe ein Stück Vorhersehbarkeit und Vertrauen. Hier erlebten wir ganz Jungen eine Gemeinschaft in geistiger Hinsicht, die uns mit älteren und weniger bekannten Menschen immer wieder in der gleichen Verbundenheit in Kontakt brachte. Die kirchlichen Feste, wie zum Beispiel Fronleichnam, betonten dies noch einmal ausdrücklich. Wir sammelten Blumen und gingen in der Prozession mit. Die aufgebauten Altäre und die aufwendig geschmückten Straßen unterstrichen die Wichtigkeit dieser öffentlichen Plätze jedes Jahr aufs Neue. Und wir hatten unseren festen Platz in diesem System, ein schönes Gefühl!

Leichtigkeit kam dann wieder mit dem Sommer und den langen Nachmittagen im Freibad. Wir lagen gemeinsam auf der Wiese, übten Schwimmen und bewunderten den braun gebrannten Bademeister, der als „Amtsperson" gleichzeitig für das Einhalten von Regeln sorgte. Wie gut schmeckte die kleine Packung Leibniz Kekse, die man am Beckenrand mit der

Freundin teilte! Genüsslich haben wir als erstes die „Zähnchen" abgeknabbert, ein himmlisches Vergnügen!

Dann mussten wir im August unbedingt einen ganz wichtigen Platz aufsuchen: den Kirmesplatz unserer St. Anna-Kirmes. Schade nur, dass unser Taschengeld derart begrenzte Möglichkeiten bot und nie für all die Leckereien und Attraktionen reichte, die wir gerne ausprobiert hätten. Gerade auf der Kirmes waren wir oft enttäuscht, wie wenig unsere Groschen wert waren. Irgendwie war alles teuer, zumindest ergab sich eine tiefe Kluft zwischen unseren Wünschen und der Wirklichkeit. Da taten wir uns dann meistens mit Leidensgenossen zusammen und bevölkerten als Zuschauer Buden und meine geliebten „Knuppautos". Dann konnte man wenigstens winkend am Rand stehen und den Glücklichen zuschauen, die ihre natürlich viel zu kurzen Runden fuhren. Erfahrungsgemäß dauerte es nicht lange, und diese Freundinnen waren ebenso „abgebrannt" wie wir. Da wir alle genaue Uhrzeiten genannt bekommen hatten, wann wir wieder zuhause sein mussten, machten wir uns dann oft ein bisschen enttäuscht auf den Heimweg. Man hätte mehr Taschengeld haben müssen und hätte länger bleiben dürfen. Auch das war jedes Jahr dasselbe, da waren wir uns alle einig.

Ein ganz wichtiger Treffpunkt war in meiner Jugend noch das Cafe Dolomiti. Die leckeren Kuchen und Eisbecher, der fantastische Ausblick vom ersten Stock auf die Stadt und die ein- und ausfahrenden Züge, der Duft von Kaffee und die fröhlichen Unterhaltungen an den Tischen, da konnte man es stundenlang aushalten, wenn man denn einen der begehrten Tische ergatterte. Ein Besuch im „Dolo", der hatte was! Oft verband sich ein Cafebesuch mit dem Aufenthalt von Verwandten, die die schöne Eifel bei uns genießen wollten. Das machte die Stunden dort doppelt schön und wir zehrten dann auch von diesen Erinnerungen, wenn uns langweilig war. Für mich bildete den Abschluss im Jahreslauf der gemeinsamen Treffpunkte die angenehme Seite des Winters: die Nachmittage auf unseren Schlittenbahnen. Ich wohnte damals in der Oberen Marktstraße und fand nichts schö-

ner, als bis zum Einbruch der Dunkelheit dort Schlitten zu fahren. Mit zunehmender Kälte und Benutzung wurde unsere Bahn immer schneller. Zudem waren wir ganz in der Nähe unserer Wohnungen, das ergab eine schöne Mischung aus leicht gruselig und trotzdem heimelig. Dank der richtigen Winter hatten wir aber auch noch andere Hänge zum Schlittenfahren, die wir regelmäßig ansteuerten, etwa am Lissinger Weg. Wenn unsere Mütter Zeit hatten, fuhren sie mit uns Schlitten. Das machte auch ihnen sichtlich Spaß, sie waren damals doch noch junge Frauen. Damit ist mein Streifzug durch die gemeinsamen Plätze unserer Kindheit beendet und ich kann nur sagen: Wir hatten eine herrliche Jugend in der Eifel.