Vorweihnachtliche Aktivitäten und ein Jesukind auf Abwegen

Margret Heinzen, Feusdorf

Es ist drei Tage vor Heiligabend, der Tag, an dem traditionell der Weihnachtsbaum und die Krippe aufgebaut werden. Tags vorher streift Opa mit der Bügelsäge durch den Wald und klaut eine Fichte, die früher oder später sowieso dem Ordnungssinn des Försters zum Opfer gefallen wäre. Zu Hause angekommen, wandert der Baum erst einmal zum Trocknen in die Garage, quasi in die Quarantäne-Station. In den seltensten Fällen schafft Opa es direkt, einen trockenen Baum heimzubringen, aber das ist meist dem Umstand geschuldet, dass Weihnachten im Winter stattfindet und es dann halt schon mal eher regnet und schneit. Am nächsten Tag muss Opa den Baum im Christbaumständer befestigen, natürlich unter den Argusaugen von Oma. Oft ertönt dabei ein „Mensch, pass doch mal auf!" oder ein „Der ist doch total schief!", aber zu guter Letzt steht der Baum stabil und letztlich zum Schmücken bereit im Wohnzimmer. Wer zum Teufel hat denn letztes Jahr die Lichterkette so verknummelt weggeräumt?! Nach dem mühevollen Entwirren des Kabelsalats und der Befestigung aller Lämpchen am Baum merkt man

dann zu allem Überfluss am Ende auch noch: „Mist, Kabel zu kurz! Noch einen halben Meter bis zur Steckdose...". Also wird der untere Teil der Kette kunstvoll und mit viel Gefühl etwas gestrafft und der Baum ein bisschen verschoben, so dass die Leitung zur Stromversorgung schließlich steht. Christbaumkugeln, Strohsterne und die vergoldeten Nüsse sind danach recht schnell drapiert, und der Baum darf auf dem eigens dafür aufgestellten Beistell-Tischchen für die nächsten Wochen Platz nehmen. Teil eins ist geschafft! „Opa, hol mal den Krippenstall vom Speicher! Die Figuren hab ich schon hier." Getreu der Weisung seines Feldwebels, wie Opa Oma manchmal nennt, schafft er die Behausung für die heilige Familie heran. Oma baut die berühmte Szenerie nach, mit Stern, Ochs und Esel, Hirten, Schafen und allen anderen, die damals mit von der Partie waren. Derweil hat Opa sich leise verdünnisiert, wer weiß, welche Jobs er sonst noch aufgedrückt bekäme. Oma baut vollends vertieft fleißig weiter an der biblischen Szenerie. Sie legt einer sehr heilig dreinblickenden Maria das Jesukind auf den Schoß, und hinter

dem Christbaum, in weiter Ferne, sind die drei Könige schon auf dem Weg. Im Stall legt sie den Boden mit Stroh aus und platziert Josef, Ochs und Esel und die Hirten mit ein paar Schäfchen. Auf dem Steier oben drüber im Heu sitzt ein Eichhörnchen und wacht über allem. Inzwischen ist es Abend geworden, und vor dem Schlafengehen betrachten Oma und Opa noch einmal zufrieden ihr gemeinsames Tagwerk. Am nächsten Morgen, Opa und Oma sitzen gerade beim Frühstück, kommt Krümelchen, die Jüngste der drei Enkelchen, im Schlafanzug mit Schnuller im Mund und Teddybär unterm Arm verschlafen und barfuß hereingetapst. Mama und Papa schlafen noch, und so ist sie kurzerhand innerhalb des Hauses durch die Waschküche zu Oma und Opa hinüber gehuscht. Bei Opa auf dem Arm ein weich gekochtes Ei mit „Zoppe-Peerd-cher" essen und dabei schnell noch alles mit Eigelb verkleckern, ist für Krümelchen das Größte an einem Sonntagmorgen. Wenn der Hunger gestillt ist und die Abenteuerlust ruft, rutscht sie flugs von Opas Schoß und zupft an seinem Ärmel. Er soll mit ihr ins Wohnzimmer gehen zum Spielen. So flink Krümelchen aber auch ist, Oma und ihr nasser Waschlappen für Mund und Hände ist einfach immer schneller - wäähh, igitt! Na, wenigstens den Schnuller wäscht sie nicht auch noch ab! Und damit Oma erst gar nicht auf dumme Ideen kommt, steckt Krümelchen ihn sich schnell in den Mund und entflieht mit Opa nach nebenan. Innerhalb von gefühlten Millisekunden sind die zwei großen Spielzeugkisten ausgekippt und das Wohnzimmer mit Lego, Playmobil, Bauklötzen, Puppen und Stofftieren dekoriert. Opa macht es sich einfach im Sessel gemütlich und kurze Zeit später ertönt ein leises Schnarchen aus seiner Richtung. Die zwei großen Kisten mit Spielzeug faszinieren Krümelchen zwar auch, aber es sieht heute Morgen alles so anders aus ... Die Krippe hat ihr eigentliches Interesse geweckt. Die Schafe werden zuerst einmal alle auf die Weide gebracht, damit sie von dem leckeren grünen Gras fressen können. Der Ochs bekommt Heu vom Steier und der Esel was zu trinken aus der Puppenküchen-Tasse. Damit die Beiden genug Platz haben, müssen die ganzen Leute erst einmal raus aus dem Stall. Josef findet sich später im Puppenbett und Maria mit einem Plastik-Dinosaurier auf dem Stalldach. Irgend-

wann bekommt Krümelchen Durst und geht zu Oma, die in der Küche das Essen für morgen vorbereitet. Oma macht ihr einen Kakao und sagt: „Ich glaube, wir gucken gleich mal nach Mama und Papa, was meinst du?" Dann ruft sie Opa zu: „Geh mal mit ihr rüber, die Zwei werden sicher wach sein." Opa tut, wie ihm geheißen, und tritt mit Krümelchen den Weg durch die Waschküche retour an. Oma geht ins Wohnzimmer. Eigentlich wollte sie nur das Spielzeug zurück in die Kisten räumen, als sie die veränderte Optik unterm Weihnachtsbaum entdeckt. Sie schmunzelt, als sie statt des Jesukinds Krümelchens Schnuller in der Krippe entdeckt. Sie stellt die heilige Anordnung wieder her, nur das Jesukind bleibt verschwunden. „Na", denkt Oma, „das ist bestimmt zwischen das Spielzeug geraten." Doch auch nachdem das Spielzeug fein säuberlich wieder in den Kisten verstaut ist, bleibt das Jesukind verschollen. Sie würde später bei Sohn und Schwiegertochter nachfragen, ob Krümelchen es vielleicht mit rüber genommen hat. Leider war auch diese Option nicht von Erfolg gekrönt, das Jesukind blieb unauffindbar. Alle Versuche aus einer Zweieinhalbjährigen den Aufenthaltsort des kleinen Heiligen herauszubekommen, scheiterten. Nun denn, dachte Oma, dann ist es halt, wie es ist, und legte der Maria ersatzweise eine der kleineren Playmobilfiguren auf den Schoß. Irgendwann würde der echte Sprössling schon wieder auftauchen. Inzwischen war der Morgen des heiligen Abends angebrochen und die letzten Vorbereitungen für die Feiertage liefen, als die Nachbarin noch frohe Weihnachten wünschen kam. Oma bereitete eine Tasse Kaffee zu und geriet mit der Nachbarin ins Erzählen. Irgendwann meinte Oma: „Mann, wir sitzen hier so trocken nur mit Kaffee, ich hol uns jetzt mal ein paar Plätzchen! Ich hab die Tage ein neues Rezept ausprobiert, das musst du versuchen, das ist der Hammer." Sprach's und entschwand ins Wohnzimmer, um die Plätzchendose zu holen. Als sie die öffnete, guckte sie nicht schlecht. In der Dose lag das Jesukind samt ein paar Schäfchen inmitten eines stark dezimierten Plätzchenbergs! Tja, so blieben zwar für jeden nur noch wenige Exemplare der superleckeren neuen Plätzchensorte zum Probieren, aber dafür konnte die Vermisstenakte Jesukind nun endgültig geschlossen werden.